In Zeiten gestiegenen Bewusstseins für Nachhaltigkeit, sichere Lieferketten, kurze Transportweg und Qualität hat das Label „Made in Germany“ im Werbeartikelmarkt in den letzten Jahren wieder an Bedeutung gewonnen. Viele Unternehmen, vor allem, aber nicht nur, solche die selbst in Deutschland fertigen, achten explizit darauf, Waren mit deutschem Herkunftssiegel auch zu Werbezwecken einzusetzen. Doch wofür steht „Made in Germany“ eigentlich noch? Was verbinden Konsumenten weltweit damit? Und wie muss sich die deutsche Wirtschaft aufstellen, damit „Made in Germany“ weiterhin als Qualitätsversprechen wahrgenommen wird. Eine, die sich mit diesen Fragen intensiv auseinandergesetzt hat, ist Stefanie Kuhnhen, Chief Strategy Officer von Serviceplan. Die Agentur hat zusammen mit Sturm und Drang, Meisterkreis und Innofact vor Kurzem eine viel beachtete Studie zu genau diesem Thema veröffentlicht.

Stefanie Kuhnhen

Frau Kuhnhen, „Made in Germany“ steht weltweit für hohe Qualität. Wie kam es dazu, dass Sie und Ihr Team eine Studie zu diesem Claim angestoßen haben?

Stefanie Kuhnhen: Im September 2023 war ich auf der My Way Konferenz, der Pioneer-Plattform für Familienunternehmen, wo dass sich der Mittelstand trifft, vernetzt und austauscht. In diesem Rahmen kam die Frage auf, wofür „Made in Germany“ und insbesondere der Mittelstand stehen, wofür man stehen möchte und in welche Richtung man sich bewegen sollte. Die Stimmung war eine Mischung aus Frust und Ratlosigkeit, denn nach wie vor steht „Made in Germany“ für Produktivität, Fleiß und Engineering. Aber es fehlte eine Zukunftsperspektive.

Wie konnten Sie da helfen?

Diese Ratlosigkeit hat mich beschäftigt, daher habe ich auf LinkedIn einen Beitrag zum Thema „Quo Vadis ‚Made in Germany‘“ geschrieben. Daraufhin nahm Stefan Baumann von Sturm und Drang Kontakt zu mir auf. Als Kulturforschungsunternehmen stellt sich Sturm und Drang dieselben Fragen: „Was ist das deutsche Narrativ, das uns in die Zukunft trägt?“ „Welche Qualitäten wollen wir für Deutschland weiterentwickeln, damit wir zukunftsfähig bleiben?“ Daraufhin haben wir schnell entschieden, gemeinsam eine Studie durchzuführen, mit dem Ziel, ein Narrativ für die Marke Deutschland zu entwickeln.

Passend zu den weltweiten Umbrüchen und den Neuwahlen in Deutschland ist die Studie im Januar 2025 erschienen. Wie aktuell ist die Suche nach einem Zukunftsnarrativ?

Gerade durch Trump und allem, was europäisch und global gerade passiert, merkt man, dass unsere Erzählung und unsere Position in der Welt zurzeit gesucht wird. Die deutsche Zukunftserzählung inkludiert dabei auch eine europäische. Deutschland ist das bevölkerungsreichste Land der EU und hat, auch durch die Präsenz und Existenz des Mittelstands, eine besondere Rolle hinsichtlich verantwortungsvollen Unternehmertums.

 In welchen Bereichen ist „Made in Germany“ im Ausland besonders angesehen?

Wir sind geprägt durch unsere Kernindustrie, insbesondere also die Bereiche Auto-Oberklasse, hochwertige Werkzeuge, hochwertige Haushaltsgeräte und hochwertige Audioelektronik. Hierfür werden wir geschätzt und anerkannt. Zusammengefasst bedeutet das für uns: Ingenieurskunst und handwerkliche Perfektion, aber auch deren Verbindung, denn die beiden Attribute gehen oft Hand in Hand. Für den Meisterkreis, der u.a. aus Unternehmen wie Leica, Rolf Benz oder Rimowa besteht, haben wir auch stets eine High-End Zielgruppe abgefragt, bei der besonders deutlich wurde, dass wir in diesem exklusiven Bereich für diese Mischung aus Handwerk und Ingenieurskunst geschätzt werden.

Hat sich diese Sicht innerhalb der letzten Jahre verändert?

Interessanterweise haben wir festgestellt, dass das internationale Image positiver geworden ist. Insbesondere im chinesischen Markt und gerade bei den sehr kaufkräftigen Gruppen, also im High-End-Bereich, ist das Ansehen noch höher. Insgesamt bevorzugen 25% aller Befragten deutsche Marken, auch über alle Kategorien hinweg. Dieser Wert steigert sich insbesondere im chinesischen Markt und in den kaufkräftigen Zielgruppen, und für 39% der internationalen Konsumenten verbesserte sich das Image sogar noch einmal.

Wie wird „Made in Germany“ im Vergleich dazu in Deutschland wahrgenommen?

Die Schere geht deutlich auseinander, denn hier wird eine deutliche Verschlechterung des Images wahrgenommen. Das wurde auch im Rahmen der Wahlanalysen noch einmal deutlich. Deutschland sorgt sich um seine Wirtschaftskraft, auch wenn diese und das Image unserer Wirtschaft im Ausland ganz anders wahrgenommen werden. Wir konnten aber auch sehen, dass die Berichterstattung und Nachrichten von Entlassungswellen einen großen Einfluss haben und für ein negatives Bild sorgen. Die mediale Darstellung stimmt mit der faktischen Lage nicht überein.

Was bedeutet das für den Einzelnen?

Fragt man in einem persönlichen Gespräch, ob es dem Gegenüber schlecht geht oder der Arbeitsplatz in Gefahr ist, haben die Leute keine Angst und antworten mit: „Nein“. Die Mehrheit empfindet die Lage also nicht als bedrohlich für sich selbst, dennoch herrscht das allgemeine Bild vor, dass es unserer Wirtschaft nicht gut geht und die Unternehmen Tausende Mitarbeiter entlassen.

Man dürfte also viel optimistischer in die Zukunft schauen.

In Asien rutschen aktuell immer mehr Käufergruppen in die Mittel- und Oberschicht und gelten als kaufkräftig. Diese interessieren sich für hochwertige Produkte, und das Ansehen deutscher Marken, die von ihrer Reputation leben, steigt.

In Deutschland hingegen reden wir uns schlecht. Natürlich gibt es Branchen, denen es weniger gut geht, aber es gibt auch Branchen, die auch international sehr gut unterwegs sind wie die Speditionsbranche.

Auf einem Kongress, den ich besucht habe, präsentierte ein Volkswirt der hessischen Landesbank Zahlen, die die Angst um den eigenen Arbeitsplatz im Verlauf der Zeit gezeigt haben. Die Menschen heute haben so wenig Angst wie nie, ihren Job zu verlieren.

Gegenübergestellt klingt es absurd. Persönlich sind nur wenige betroffen, trotzdem ist die Stimmung schlecht.

Exakt. Die Leute fühlen sich sicher und satt, gleichzeitig reden wir uns schlecht. Und genau das ist die Bestätigung, dass wir ein neues Narrativ benötigen. Ein neues, positives Narrativ sorgt dafür, dass man sich daran aufrichten kann, auch wenn die Faktenlage nicht nur rosig ist, sie ist auch nicht nur schlecht.

Aus der Studie geht hervor, dass Deutschland progressiver und digitaler werden sollte. Muss das ein Ziel sein, oder sollte die aktuelle Situation zunächst einmal abgesichert werden?

Hier gebe ich eine zweigeteilte Antwort. Natürlich glaube ich, dass Deutschland progressiver und digitaler werden muss, weil die Welt digitaler wird und die Digitalisierung weiterhin exponentiell voranschreitet. Schauen wir dann auf die Landkarte, die das Kernstück unserer Studie ist, sehen wir aber auch, dass Digitales nicht der Kern unserer Erzählung zur Zukunftspositionierung sein kann.

Vielseitigkeit, Status und Prestige, technische Innovationen: Die Grafik zeigt, für welche Qualitäten das Label „Made in Germany“ zukünftig stehen kann.

Diese Landkarte ist in vier Quadranten aufgeteilt. Wie lässt sich die Zukunft von „Made in Germany“ hier ablesen?

Es gibt vier Quadranten: Technik, Produkte, Systeme und Menschen. Wir haben festgestellt, dass die USA den Quadranten Technik zu einem großen Teil besetzen. Demzufolge sind sie in diesem Bereich besser als jeder andere. Sie schaffen innerhalb kürzester Zeit technologische Lösungen, sie haben Apple, Google oder ChatGPT, und sowohl wir als auch die Asiaten trauen ihnen diese Kompetenz zu. Daher müssen wir zwar auch digitaler werden, das kann aber nicht unsere Erzählung sein, da die USA in diesem Bereich glaubwürdiger sind. Ich als Marketingstrategin sage: Das Feld ist besetzt.

Wie sieht es mit den anderen Feldern aus?

Der Bereich Systeme ist hauptsächlich von den Asiaten besetzt. Sie stehen, noch stärker als die USA, dafür, innovative Systeme zu schaffen und beispielsweise Mobilität und Energiesysteme neu zu denken. Auch hier haben wir also nicht unsere glaubwürdige Markenposition. Spannend sind für uns die Bereiche, in denen uns auch die übrigen Kontinente an der Spitze sehen, und das sind insbesondere die Bereiche Produkte und Mensch. Wir sind einzigartig darin, alles in Verbindung mit dem Menschen zu setzen und Produkte oder Systeme rund um den Menschen und seine Bedürfnisse zu entwickeln. Das gilt jedoch nicht nur für Deutschland, sondern für Europa insgesamt.

Woher kommt dieses menschliche Vertrauen in Europa?

Es gibt verschiedene Studien, die belegen, dass Europa ein erstrebenswerter Lebensraum ist. Deutschland und Europa insgesamt haben eine wahnsinnig hohe Lebensqualität: die Luft ist sauberer als in Asien, es ist sozial, es ist grün und nicht so vom Auto getrieben wie die USA. Wir werden nicht streng kontrolliert, und die Schere zwischen Arm und Reich ist nicht so ausgeprägt wie in vielen anderen Ländern. Dieses Kulturgut ist im Hinterkopf vieler vorhanden, das zeigt auch unsere Studie.

Was bedeutet das für das gesuchte Narrativ?

Es wird gesagt, auch von den Befragten aus anderen Kontinenten, dass keiner so gut Produkte und Systeme entwickeln kann, die so gut dem Menschen dienen und den Lebensraum verbessern, wie wir Europäer. Und genau das ist das Narrativ. Das ist der Raum, in den wir weiter reingehen sollten. Künstliche Intelligenz und technologischer sollten der menschlichen Entwicklung dienen. Ein kleines Beispiel dafür ist der Thermomix. Damit können sich Menschen in kürzester Zeit ohne Aufwand gesünder ernähren. Das System besteht aus Rezepten, einem Online-Service, Austausch-Gruppen u.v.m. Mit solchen Produkten und Systemen schaffen wir es, uns zu positionieren.

Kann man dieses Narrativ auch auf die Werbeartikelindustrie übertragen?

Natürlich. Mit jedem Produkt, das in Europa gekauft wird, kauft man, hoffentlich, auch immer soziale Gerechtigkeit und eine gesunde Natur. Da kommt dann auch der deutsche Mittelstand zum Tragen, der Familienunternehmen und damit auch wertvolles Unternehmertum meint. Der Mittelstand war schon immer sozial gerecht. Wir müssen stolz sein, auf das, was wir können, und dieses dann mit KI und digitalen Möglichkeiten weiterentwickeln.

Ich baue seit 30 Jahren Marken und grundsätzlich muss man immer herausfinden, wofür ein Unternehmen schon immer stand, diesen Kern dann freilegen und mit neuen technologischen Möglichkeiten aufarbeiten und zeitgemäß aufladen. Mit Blick auf „Made in Germany“ heißt das: Wir sollten die Ingenieurs- und Handwerkskunst nicht aufgeben, sondern in unseren Erzählungen noch stärker in den Vordergrund rücken. Wir müssen klarstellen, dass wir nicht nur perfekte Spaltmaße am Auto produzieren, sondern dass durch KI und technische Möglichkeiten unsere Produktion für Natur und Mensch gesünder und nachhaltiger wird. Wir müssen die Verantwortung annehmen, das Unternehmertum behalten und bewusst Gesellschaft und Natur mitdenken. So erhalten wir Jobs und ein Leben in Freiheit und Gesundheit, also das was wir jetzt haben, auch für die Zukunft.

Nachhaltigkeit und Umweltbewusstsein ist ein sehr deutsches Thema. Wie wichtig ist Nachhaltigkeit, wenn es um „Made in Germany“ geht?

In unserer Studie haben wir das nicht explizit abgefragt, aber es gab den Parameter „Gesunde Lebendigkeit“, der ganzheitliche Verantwortung abgefragt hat. Hier hat man gesehen, dass auch zur Debatte steht, ob die Welt und wir uns das als Kernkompetenz zutrauen. Deutsche Marken verbinden Nachhaltigkeit auch immer damit, ein lebendiges Ökosystem zu erhalten. Es geht in Deutschland nicht nur darum, die Natur zu retten, sondern Nachhaltigkeit als Teil einer zukunftssicheren und lebendigeren Welt zu sehen. Es mag egoistisch klingen, aber wir müssen die Welt nicht retten, um die Welt zu retten, sondern auch, damit wir ein gesundes Ökosystem haben, wirtschaften und gut leben können. Die Wirtschaft hängt ja auch zu fast 60% von Ökosystemen ab, daher müssen wir uns um sie kümmern.  Und man traut Deutschland diese Kompetenz zu.

Spannend, wenn man bedenkt, dass Sie gesagt haben, dass die Asiaten das Thema Solarenergie eingenommen haben.

Das stimmt, das ist sehr interessant. Solarenergie wurde zunächst hier vorangetrieben und dann an die Asiaten abgegeben. Daran merkt man aber auch, dass man uns das Denken in Generationen und lebendigen Ökosystemen zutraut. Sobald ein Thema in den asiatischen Kontext kommt, bekommt es eine innovative Überlappung. Solarenergie muss schneller, effizienter und dünner werden, während bei uns in Europa systemisch gedacht wird. Wir bauen Systeme, die Mensch, Natur und Wirtschaft als Einheit darstellen, die sich gegenseitig unterstützt.

Während die Quadranten Technik und Systeme stark von den USA und China dominiert sind, punktet Deutschland insbesondere dann, wenn es um die Bereiche Produkte und Menschen geht. In diesen Bereichen ist das Vertrauen in Europa und im Speziellen Deutschland besonders groß.

Kann sich „Made in Germany“ also genau da platzieren, wo es darum geht, ein gesundes Leben, Naturschutz und technischen Fortschritt zu kombinieren?

Absolut. Deutsche Marken haben, wie gesagt, schon jetzt ein sehr gutes, technologisch- ingenieursgetriebenes Narrativ. Dazu müssen wir nun ergänzen, dass wir wertvolle, beziehungsreiche Lebenswelten kreieren. Bezogen auf die Werbeartikelbranche heißt das, dass derjenige, der einen Werbeartikel produziert, auch in sozialer Gerechtigkeit und Naturschutz denkt. Selbst wenn ein Produkt dann teurer ist, kaufe ich es lieber, weil ich einen wertvollen Lebensraum für uns Menschen kreiere. Im anderen Fall spare ich, fördere aber eine Welt, die uns Menschen nicht dient. Daher sagen wir, dass wir viel deutlicher machen müssen, dass deutsche Marken den Menschen immer im Blick haben.

Was wünschen Sie sich von den Ergebnissen der Studie?

Wir wollen natürlich mit einzelnen Marken an den Themen arbeiten, aber es wäre toll, wenn Deutschland sich auch als Marke präsentieren würde. Dazu gehören dann nicht nur mittelständische Unternehmen, sondern auch Ministerien. Dass unsere Produkte nicht nur handwerklich gut sind, sondern auch kulturell wichtig und dass man mit deutschen Lösungen Wohlstand und Lebensraum kauft. Es wäre ein großer Wunsch von mir, ein gemeinsames Narrativ und Entwicklungsraum für die Marke Deutschland zu schaffen. So entstünde eine gemeinsame Erzählung oder Positionierung für unser Land, und jedes Unternehmen könnte sich in diesem Rahmen, je nachdem wo es steht, positionieren und entwickeln.

// Mit Stefanie Kuhnhen sprach Sophia Arnold.

Die Gemeinschaftsstudie „Die Zukunft von Made in Germany“ wurde von Serviceplan in Zusammenarbeit mit Innofact, Sturm und Drang und Meisterkreis durchgeführt. Im Kern der Studie geht es darum, wofür das Siegel „Made in Germany“ aktuell steht und wofür es in Zukunft stehen soll.  In drei Phasen wurde zunächst eine qualitative semiotische Analyse deutscher Markenkampagnen durchgeführt, worauf Gespräche mit Experten aus drei Wirtschaftsräumen und eine quantitative Befragung mit über 3.000 Konsumenten aus den USA, Europa und China erfolgte. Die Ergebnisse der Studie, nämlich dass „Made in Germany“ im Ausland höher angesehen wird als in Deutschland selbst, sollen Basis für folgende Kommunikationsmaßnahmen oder Initiativen dienen und so die Studienergebnisse auf Marken und deren Strategien zu transferieren.