
Die Entwicklung der digitalen Medienlandschaft schreitet unaufhaltsam voran, und Printprodukte müssen sich den neuen Gegebenheiten anpassen, ohne dabei ihre Stärken zu verlieren. Im Gespräch mit dem HAPTICA® Magazin erklärt Rüdiger Maaß, Geschäftsführer vom Fachverband Medienproduktion e.V. (FMP), welchen Herausforderungen sich Print stellen muss, um im Kontext des Multichannel-Publishings auch in Zukunft ein fester Bestandteil der Kommunikationslandschaft zu bleiben. Print wird nach Ansicht von Maaß auch in Zukunft für sämtliche Marketingdisziplinen relevant bleiben, denn: Durch eine gezielte Weiterentwicklung und Neupositionierung hat Print – v.a. in Kombination mit digitalen Medien – weiterhin eine hohe Wirkkraft.

Rüdiger Maaß
Sie sind Mitinitiator der Kampagne WE.LOVE.PRINT. Was war der Anlass für diese Initiative, und welche konkreten Ziele verfolgt sie?
Rüdiger Maaß: Aufklärend möchte ich sagen, dass es keine Kampagne ist, sondern eine Initiative. Unser Engagement ist zeitlich unbegrenzt, denn uns ist allen klar, dass wir die Painpoints der grafischen Industrie nicht in einer Kampagnenzeit lösen können. Und da sind wir genau bei dem Ursprung der Initiative: die Painpoints.
Ganz abgesehen davon, dass Print eine Neupositionierung im Umfeld des Multichannel-Publishings braucht, haben wir in der Branche diverse Hausaufgaben zu lösen. Es gibt mächtige Herausforderungen, die Grafische Industrie als Branche wieder attraktiv zu machen. Hinzu kommt die Nachwuchsförderung in Verbindung mit der Ausbildungsunterstützung in Berufsschulen und Lehrinstitutionen. Die Nachhaltigkeitsaufklärung von Print ist ebenfalls ein großer Brocken usw. Print muss wieder an Bedeutung gewinnen und darf nicht einfach nur selbstverständlich sein.
Das alles ist so umfangreich und mächtig, dass es Verbände und Missionare alleine nicht zu lösen vermögen. Da muss die ganze Branche ran. Wenn wir das nicht schaffen, darf sich keiner über die weitere automatische Konsolidierung beschweren. Getreu dem Motto: „Es gibt nichts Gutes, außer man tut es…“.
Welche Vorteile von Printprodukten stellt die Initiative besonders heraus?
Wenn man hier alle Values aufzählen würde, dann müssten wir jetzt gemeinsam die „Print-Bibel“ schreiben – also alles Values argumentieren, die Print zu bieten hat. Die wichtigsten Aspekte sind hier aber auf jeden Fall Nachhaltigkeit, Multisensorik, physische Präsenz, Glaubwürdigkeit, Individualisierung, Druckveredelung, Print macht Marke, Wirkung usw.
Das Vorurteil, dass Printmedien nicht nachhaltig seien, hält sich hartnäckig. Mit welchen konkreten Vorurteilen sehen sich Printprodukte konfrontiert – und wie begegnet die Initiative diesen?
Generell glaube ich, dass diese Vorurteile eine Mischung aus verschiedenen Ursachen sind. Da wäre zuerst die fehlende intensive Aufklärung aus unserer Branche heraus, dann die Leichtgläubigkeit auf digitalen Kanälen, wo Fake-News schnell antizipiert werden, und zum Schluss noch die Uneinigkeit unserer Branche.
Es gibt keine einheitliche Grundlage, auf die man sich berufen kann, jeder erzählt etwas anderes, und jeder macht sein eigenes Aufklärungsding. Das zusammen sorgt für Falschwissen, Halbwissen und fehlerhafte Interpretationen, so z.B. die Gedankenkette „Print – Papier – für Papier werden Bäume gefällt – Bäume fällen ist böse – somit ist Print nicht nachhaltig“. Sie glauben gar nicht, welche Mythen kommuniziert und geglaubt werden – ich bin teilweise fassungslos.
Unsere Aufgabe ist eine einheitliche, neutrale Aufklärung, ohne einen wirtschaftlichen Hintergrund zu haben. Wir dienen der Sache und merken, dass genau das gut ankommt. Auf der HAPTICA® live ‘25 haben wir auch mit vielen Besuchern diese Erfahrung gemacht. Die waren ganz erstaunt, mit welchen Fakten wir aufwarten. Nur so kann langsam ein Umdenken eingeleitet werden. Und konkret: Unser nächstes WE.LOVE.PRINT-Magazin wird sich genau dem Thema widmen – das befindet sich gerade in der finalen Abstimmung.
Viele Unternehmen reduzieren im Rahmen ihrer Nachhaltigkeitsstrategie klassische Printprodukte wie Kataloge oder Flyer. Wie kann man diesen Trend hinterfragen und Unternehmen wieder für Print begeistern?
Indem wir das große Ganze im Blick haben, und, wie bereits erwähnt, durch die „Print-Bibel“. Aktuell können wir zum Glück mit einigen positiven Beispielen aktiv werden. So finden derzeit z.B. Umsatzeinbrüche im Lebensmitteleinzelhandel durch das Weglassen von Printprodukten statt. Laut einer Studie von IFH Media Analytics bewerten jedoch nur rund ein Viertel der betroffenen Verbraucher:innen die Print-Prospekteinstellungen als gut. Von den durch Prospekteinstellungen betroffenen Verbraucher:innen geben vielmehr fast zwei Drittel an, weniger Informationen über Anbieter und deren Angebote zu erhalten, und 45% kaufen demnach weniger in den entsprechenden Shops ein. Im Umkehrschluss: Für rund die Hälfte der Verbraucher:innen verbessert sich durch die Wiedereinführung von Print-Prospekten die Möglichkeit, gute Angebote zu finden. Also: Print wirkt.
Haben Sie den Eindruck, dass Printmedien in der öffentlichen Wahrnehmung gegenüber digitalen Formaten zunehmend an Wert verlieren?
Ja, aber nur weil unsere Branche Print zu oft als zu „old school“ positioniert hat. Die „Digitalos“ treten deutlich moderner und hipper auf und dadurch wird die Diskrepanz nochmal größer. Ich wage sogar zu behaupten, dass unsere Branche trotz der vielzähligen Einzelengagements in den letzten Jahrzehnten geschlafen hat, und das Ergebnis haben wir jetzt.
Egal ob Laptop, Tablet oder Smartphone – heute konsumieren wir Inhalte fast ausschließlich über Bildschirme. Macht es einen Unterschied, ob wir Informationen digital oder analog aufnehmen?
Ja, klar. Darüber gibt es diverse Studien, etwa die von 130 Wissenschaftlern unterzeichnete „Stavanger Erklärung zur Zukunft des Lesens“. Sie befasst sich mit dem Einfluss der Digitalisierung auf Lesepraktiken und kommt zu dem Schluss, dass die Verständnisfähigkeit beim Lesen am Bildschirm überschätzt werde, was zu einer Abnahme der Konzentration und zum Überfliegen der Texte führe. Zudem sei das Verständnis von langen Informationstexten beim Lesen gedruckter Texte besser als beim Bildschirmlesen.
Zu ähnlichen Schlussfolgerungen kam auch ein 2020/2021 erstellter Bericht des Instituts für Schulentwicklungsforschung der Technischen Universität Dortmund. Die Forscher fanden heraus, dass das Lesen in gedruckten Büchern für den Erwerb der Sprache Software-Programmen überlegen ist und dass sich Leser von Büchern besser ausdrücken könnten.
Und auch eine 2018 von der Delgado Universidad de Sevilla veröffentlichte Studie, für die Daten von 169.524 Schülern ausgewertet wurden, unterstreicht die Ergebnisse anderer Studien hinsichtlich des besseren Leseverständnisses in Büchern. Nicht umsonst ist aktuell – zumindest in einigen nordischen Ländern – das Schulbuch in Ergänzung zum Tablet wieder auf dem Vormarsch.
Jeder Medienkanal hat seine Vorteile, aber keiner ist besser als der andere, nur zusammen sind sie erfolgreich. Und natürlich ist analog viel intensiver – wie das Wort „Begreifen“ schon sagt, gelangen die Informationen quasi durch die Hand ins Hirn.
Welche Möglichkeiten gibt es, Printmedien mit digitalen Elementen zu verknüpfen, und welchen Einfluss hat das auf die Wirkung von Print?
Es gibt diverse Medienbrücken durch QR-Codes, NFCs, Short-Links usw. Das alles wird noch angereichert durch digitale Experiences wie z.B. Augmented Reality. Ich denke nicht, dass es an Möglichkeiten hapert, sondern an der konzeptionellen Kreativität.
Und der Einfluss ist ganz klar: In solch einer Kombination kann jeder der beteiligten Medienkanäle seine Performance voll ausspielen, und das noch gepaart mit Interaktion, Involvement und Erlebniskommunikation.
Inwiefern kann Print einen Beitrag zur emotionalen Markenbindung leisten, gerade im Vergleich zu digitalen Medien?
Durch die Multisensorik. Hier können z.B. über die Druckveredelung in Verbindung mit Individualisierung emotionale Kommunikationswelten aufgebaut werden, die Erlebnis bedeuten. Das schafft Vertrauen und kommuniziert die Markenwerte auf multifunktionaler Ebene über die Sinne, ohne dass es platte Kommunikation ist. Denn solche Markenbotschaften werden oft implizit weitergegeben. Dazu bedarf es aber wieder der konzeptionellen Kreativität – und die benötigt Know-how in Bezug auf die verfügbaren Möglichkeiten.
Welche Rolle spielt haptische Werbung im Printbereich?
Das ist einer der wesentlichen Values. Durch Haptik schafft man Interaktion, Erlebnis, Begreifen im wahrsten Sinne des Wortes und vieles mehr. Ich wage sogar zu behaupten, dass sich Menschen nach Haptik sehnen.
Dabei geht es auch um die Vielfalt der Kommunikation und Information – da ergänzen sich Print und Digital perfekt. Und es geht auch um die Wirkung der Information, auch da gibt es eine ideale Ergänzung von Print und Digital, aber eben nur eine Ergänzung.
Wenn wir uns nur den Begriff der Customer Journey anschauen – wer will denn diese Journey ausschließlich digital „erleben“? Letztlich geht es um physische Erlebnisse – die prägen, die schaffen Mehrwert, die machen das Leben lebenswert. Und so ist es auch in der Kommunikation: Print schafft physische Kommunikations-Erlebnis-Touchpoints. Die machen die Kommunikations-Journey lebens- und liebenswert, und nur über eine aus analogen und digitalen Elementen kombinierte Journey kommen Werbungtreibende zu einem sinnvollen Ergebnis.
Beispielsweise bei Mailings kommen haptische Elemente zum Einsatz. Welche Möglichkeiten bestehen hier, und welche psychologischen Effekte werden dabei gezielt angesprochen?
Auch hier gibt es unendliche Möglichkeiten. Aber in der Summe geht es doch um Neugier, Wissbegierde, Aufmerksamkeit, Einzigartigkeit, Zuwendung, letztlich sogar den Wunsch des Besitzergreifens – vorausgesetzt, das Printprodukt ist so attraktiv, dass dieser Reiz adressiert wird.
Ich denke, diese Begriffe müssten bei der Planung von Printprodukten im Fokus stehen. Also erst zu überlegen, was man erreichen will, und dann erst, welche Technik man einsetzt. Ich nenne das konzeptionell rückwärts denken. Das wird aber oft nicht gemacht, weil man dann nicht immer das verkaufen kann, was man selbst produzieren kann. Wir müssten aber viel unkonventioneller in die Printberatung einsteigen.
Wie sehen Sie die Zukunft des Printmarktes insgesamt, v.a. im Hinblick auf technologische Entwicklungen und sich wandelnde Kommunikationsgewohnheiten?
Print wird es immer geben, aber die Branche wird sich weiter konsolidieren, zumindest im Hinblick auf die Anzahl der Unternehmen. Bezüglich des Printvolumens bin ich mehr als zuversichtlich. Im Endeffekt sehe ich den Printmarkt wie den Markt der klassischen LP und den Hype der CDs. Und wie sieht es heute aus? CDs spielen fast keine Rolle mehr, Vinyl ist weiter auf dem Vormarsch. Und Streaming gibt es auch.
Und so wird es Print gehen: Es wird sich weiter alles verändern, und Print muss das auch. Genau das ist unsere Chance – nicht Print bewahren, sondern Print weiterentwickeln und neu positionieren. Und was die technologischen Entwicklungen angeht, gibt es auch eine einfache Antwort: Nach oben gibt es keine Grenzen.
// Mit Rüdiger Maaß sprach Helen Lorenz.
Der Fachverband Medienproduktion e.V. (FMP) ist ein Branchenverband für Medienproduktioner:innen und hat sich der Wahrung und Förderung der Interessen aller Prozessbeteiligten innerhalb der Medienproduktion verschrieben. Der 1993 gegründete Verband widmet sich dabei im besonderen Maße der Wissensvermittlung und fachlichen Schulungen.
Während Medienproduktioner:innen vor etwa 15 Jahren überwiegend im Bereich der Printproduktion tätig war, hat sich das Berufsfeld heute deutlich verändert. Im Fokus stehen zunehmend Multichannelproduktionen, die eine ganzheitliche Betrachtung über alle Medienkanäle hinweg erfordern. Dabei liegt die besondere Aufgabe des Verbands heute darin, das Thema Print im Kontext der digitalen Transformation neu zu positionieren und seine Relevanz in der heutigen Medienlandschaft zu stärken.