
Die Messelandschaft erlebt eine Renaissance. Das Kernangebot von Messen, Menschen zusammen zu bringen und Neuheiten zu präsentieren, hat an Attraktivität nichts verloren. Messen sind multisensorische Markenerlebnisse und bieten mit ihrem Mix aus Networkingplattform, Leistungsschau und Weiterbildungsangeboten jenen Erlebnischarakter, der anderen Medien weitestgehend abgeht. Als Einladungsverstärker, Kontaktstifter und Souvenir spielt haptische Werbung auf Messen dabei eine prominente Rolle.
Gerade einmal vier Jahre ist es her, da eröffnete die Stadt Köln Anfang Februar 2021 in ihren Messehallen das größte Impfzentrum der Domstadt. Dort, wo normalerweise um diese Zeit zigtausende Messebesucher an den Ständen der ISM sich durch die bunten Schokoladen-, Fruchtgummi- oder Popcornangebote der Aussteller probiert hätten, reihten sich die Bürger brav in Reihen, um sich in sterilen weißen Kabinen auf dunklem Steinboden ihren Piks gegen COVID-19 setzen zu lassen.

Veranstalter nutzen die Emotionalität ihrer Messen, um sie als Erinnerung zum Anfassen mit nach Hause zu nehmen. Die Spiel in Essen hat seit letztem Jahr mit Meeps ein eigenes Maskottchen, das nicht nur als Walking Act auf der Messe für Belebung sorgt, sondern auch auf einer eigenen Merch-Kollektion eine Bühne bekommt.
Die Bilder von damals hatten eine ziemliche Symbolkraft, legten sie doch in aller Deutlichkeit offen, wie sehr sich das öffentliche Leben durch das Corona-Virus verändert hatte. Und sie machten unmittelbar klar, welche Branche wohl mit am stärksten unter den Einschränkungen zur Eindämmung der Corona-Pandemie zu leiden hatte: die Messewirtschaft. Die Durststrecke traf Messegesellschaften wie -veranstalter schwer. Nicht wenige prophezeiten der Branche schwere Zeiten, manche sogar ihr nahendes Ende.
Schließlich hatte es schon vor Corona eine gewisse Messemüdigkeit gegeben, waren die Besucherzahlen vielfach rückläufig, hatten Aussteller ihre Budgets überprüft und Standgrößen reduziert, gingen für manchen Fixstern am Messehimmel – man denke z.B. an die Cebit – die Lichter aus. Im Zuge der Nachhaltigkeitsdebatte wurde die Sinnhaftigkeit von Veranstaltungen mit aufwendigem Messebau für wenige Tage und hohem Mobilitätsaufwand für alle Teilnehmer in Frage gestellt. Und die digitalen Medien versprachen, dass man Leads auch auf andere Weise generieren könnte. Schneller, billiger, mehr und terminungebunden. Alles sollte einfacher werden: Kein Besucher sollte mehr an der Garderobe anstehen, sich die Füße wund laufen oder über Trolleys stolpern müssen. Digitale Vor- und Nachbearbeitung, einfacher Download von Messematerialien, über Apps gebuchte Live-Chats: Wer brauchte da noch Live-Formate?
Online-Plattformen kein Ersatz
Doch die Erfahrungen, die die Messeveranstalter während der Corona-Zeit mit den digitalen Ablegern ihrer physischen Shows machten, waren ernüchternd. „Der Versuch, die ausgefallenen Live-Veranstaltungen auf ausschließlich digitalem Weg zu kompensieren, hat nicht gut funktioniert“, bilanziert Petra Lassahn, Prokuristin beim Messeveranstalter RX Deutschland und als solche verantwortlich für die PSI in Düsseldorf, Europas Leitmesse für Werbeartikel, Incentives und Merchandising, sowie den Bar Convent in Berlin und London.

„Der direkte, menschliche Kontakt ist um ein Vielfaches wertvoller als unpersönliche Leads.“ Nach Corona hat die Wertschätzung von echten Begegnungen wie hier auf dem Bar Convent in Berlin wieder zugenommen.
Lassahns Resümee wird geteilt von den allermeisten Ausrichtern von Messen. Die Hürden für eine erfolgreiche Online-Live-Show sind groß. Aussteller klagen über unzureichende Möglichkeiten, ihre Sortimente übersichtlich darzustellen, sich CI-gerecht zu präsentieren oder vorüberlaufende Messebesucher einfach ansprechen zu können. Die Besucher wiederum vermissen die sinnlichen Erfahrungen, das Networking, die Abendveranstaltungen oder auch das ziellose Umherstreifen mit Zufallsentdeckungen. Und für die Messeveranstalter selbst ist es beinahe unmöglich, virtuelle Messeformate angemessen zu monetarisieren. Heute gibt es daher viele digitalen Ergänzungen zu den Live-Formaten oder hybride Veranstaltungen, ersetzt haben die digitalen Ableger die Präsenzmessen so gut wie nie.
Im Gegenteil: Vielfach hat man den Eindruck, dass die Möglichkeit des Livekontakts wieder stärker wertgeschätzt wird als früher. „Das Bewusstsein, das etwas verloren geht, wenn man sich nicht mehr auf persönlicher Ebene austauschen kann, ist größer geworden“, meint Lassahn. Die Veranstaltungen nach der Corona-Zeit waren geprägt von der Freude und der Erleichterung, sich wiederzusehen. Etwas von diesem Geist hallt bis heute nach.
Und so herrscht dieser Tage wieder ein anderes Bild, schleppen Besucher vor den Messehallen in Köln-Deutz im Februar wieder Tüten voller Naschwaren von der ISM, stehen Cosplayer dort in langen Schlangen, um Einlass zur gamescom zu erhalten, „hullern“ sich fitnessaffine Zielgruppen beim „Ella Hoop“ auf der Fibo frei. Wo Messe drauf steht, ist wieder das volle Leben drin.

Für die Ansprache der Generation Z braucht es Formate für Spaß. Die gamescom macht vor, wie es geht.
Pulsierender Markt
Wie pulsierend die Messelandschaft in Deutschland ist, belegen die Kennzahlen, die der Dachverband der Deutschen Messewirtschaft AUMA (Ausstellungs- und Messe-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft e.V.) herausgibt. 322 Messen fanden 2024 an den 70 vom AUMA gelisteten Messestandorten zwischen Nord- und Bodensee statt. 11,7 Mio. Besucher, ein Plus von 9% gegenüber dem Vorjahr, wurden gezählt, die Ausstellerstahl stieg um 10% auf 205.000 Unternehmen. Zwei Drittel der Weltleitmessen – von der Bauma über die Drupa und die Hannover Messe bis zur Spielwarenmesse – fänden in Deutschland statt, 28 Mrd. Euro trage die Messewirtschaft zum gesamtwirtschaftlichen Plus der Bundesrepublik bei, 230.000 Arbeitsplätze würden gesichert und die messeinduzierten Steuereinnahmen lägen bei rund 4,5 Mrd. Euro, rechnet der AUMA vor. „Messe macht Wirtschaft lebendig“, hat der AUMA zum neuen Slogan auserkoren, und unterstreicht mit der Doppeldeutigkeit einerseits die Vitalität der Branche und andererseits die Bedeutung der Live-Experience als Marketingtool.
Dass sich das Messebusiness, insbesondere im Bereich der Fachmessen, wieder erholt hat, hat auch Lassahn registriert. Überrascht ist sie davon keineswegs: „Ich bin seit mehr als drei Jahrzehnten im Messegeschäft, und in dieser Zeit gab es immer wieder Phasen, in denen Messen totgesagt wurden. Aber Messen sind nicht tot. Sie sind extrem wichtig. Nirgendwo sonst kann man so viele Menschen in so kurzer Zeit erreichen wie auf Messen. Und der direkte, echte, menschliche Kontakt ist für die Aussteller um ein Vielfaches wertvoller als die unpersönlichen Leads, die über andere Medien generiert werden. Hinzu kommt, dass auf Messen alle Sinne angesprochen werden und sich das Markenerlebnis und die Botschaften so viel intensiver im Gedächtnis verankern können. Das ist mit keinem anderen Werbemedium vergleichbar.“
Bester Beleg für die Thesen Lassahns: Auch die Online-affinen Branchen haben ihre Live-Shows, die sich in den letzten Jahren zu echten Mega-Events entwickelt haben. 40.000 Teilnehmer zog die Digitalmarketing-Plattform DMEXCO im letzten Jahr an, gleich doppelt so viele die gamescom. Und die OMR im Hamburg, das Festival für das digitale Universum, hat sich in 13 Jahren von einer kleinen Konferenz mit 150 zahlenden Gästen zu einem beispiellosen Live-Spektakel entwickelt. Die „Mischung aus Business-Messe, Influencer-Bar und Liveshow“ (Manager Magazin) aktvierte im letzten Jahr 70.000 Besucher, die dafür bereitwillig Ticketpreise von rund 500 Euro zahlten. Politische Schwergewichte von Robert Habeck bis Christian Lindner lassen sich hier blicken, Kim Kardashian und Bastian Schweinsteiger sorgen für den gewissen Promifaktor, Shirin David und Tokio Hotel für musikalisches Glitzern. Viel wichtiger jedoch für die Aussteller: Das Konzept mit den vielen Vorträgen und Masterclasses überzeugt die Managerelite der großen Unternehmen, nach Hamburg zu kommen. Und alle reden über die Bedeutung des Online-Marketings.
Denn auch das können Messen: Sie stärken Branchen und sind Anlass für andere Medien, über Branchen zu berichten. Sie rücken Märkte ins Scheinwerferlicht.
Auch die Gen Z liebt Messen
Dass eine Veranstaltung wie das OMR-Festival so gut funktioniert, lässt vermuten, dass Live-Shows im Business auch für die Digital Natives der Gen Z nichts an Attraktivität verloren haben. Eine, die sich mit dem Nutzen von Messen für die jüngeren Generationen intensiv beschäftig hat, ist Sarah Hunke. Für ihre Bachelor-Abschlussarbeit zu diesem Thema hat sie 2023 den Messe-Impulspreis des AUMA verliehen bekommen.

Immer wichtiger wird der Aspekt der Weiterbildung. Key Notes, Impulsvorträge, Workshops bereichern das Messeangebot und schaffen zusätzliche Besuchsanreize – auch auf der BrandMate, dem Networking-Element der Licensing-Industrie.
Hunke sieht ein „hohes Bedürfnis der Gen Z nach persönlichem Austausch, sodass Messen auch für diese junge Generation relevant und interessant bleiben.“ Im Vordergrund des Messebesuchs steht wie bei der älteren Generation auch die Information über Produkte, Trends und Neuheiten, doch die Lust auf das Gespräch mit echten Menschen ist der Autorin zufolge sogar noch größer als bei den Digital Immigrants. Um die junge Zielgruppe zu erreichen, gilt es, den Erlebnischarakter hochzuhalten. „Es ist besonders wichtig, dass Formate für Spaß und Networking angeboten und weiterentwickelt werden“, so Hunke. „Auch Foto-Spots, Gruppenworkshops, Chill-Out-Areas und Arbeitsplätze für mobiles Arbeiten sind für die Gen Z attraktiv und können in die Veranstaltung integriert werden.“ Etwas altväterlich gesprochen: Die jungen Leute wollen halt was erleben. Aber sich dabei auch weiterbilden. Auf Messen können sie beides.
Spürbare Effekte
Mit ihrem breiten Angebot locken Messen also Businessbesucher jeden Alters an. Doch auch wenn die richtige Klientel vor Ort ist, ist sie natürlich noch nicht bei den Ausstellern am Stand. Was empfiehlt die Messeexpertin Lassahn neben ansprechendem Standdesign, freundlichem Personal und selbstverständlich einem interessanten Angebot? „Haptische Werbung kann als Gesprächsöffner einen guten Effekt haben, um die Besucher anzusprechen und direkt in ein Gespräch zu verwickeln. Clever ausgewählte Artikel, die zur Marke passen, sorgen für positive Emotionen und erweisen sich mitunter als Besuchermagnet. Und Werbeartikel, die als Souvenirs mit nach Hause genommen werden, verlängern das Messeerlebnis und sagen zudem etwas über die Brand aus.“
Sofern Nachhaltigkeit und Sinnhaftigkeit der ausgegebenen Artikel geprüft worden sind, glaubt auch Hunke an eine positive Akzeptanz beim jungen Zielpublikum. „Als physische Werbeobjekte außerhalb des virtuellen Raums können Messe-Giveaways ein Alleinstellungsmerkmal für eine Generation darstellen, die Werbung sonst in erster Linie online wahrnimmt.“
Auch die Messeveranstalter selbst haben das Wirkungspotenzial von haptischer Werbung erkannt und bieten eigene Merch-Kollektionen an – das gilt für Fachmessen wie den Bar Convent ebenso wie für die großen Publikumsmessen. Die gamescom z.B. launcht unterjährig immer wieder neue Produkte wie eine Sneakers-Kollektion in Kooperation mit Engelbert Strauss. Und auf der Messe selbst sind ganze Hallen dem Merch-Angebot der Gaming-Marken gewidmet.
Merch und Messe – das passt einfach, denn beide Marketingmaßnahmen zielen aufs sinnliche, aufs echte Erleben ab und sind so spürbar effektiv.
// Dr. Mischa Delbrouck